Zwangsprostitution

Warum ist der Ausstieg aus der Prostitution so schwer?

Viele fragen sich, warum die Frauen aus der Prostitution nicht aussteigen, wenn es denn dort so furchtbar sei. „Warum fliehen die Frauen nicht einfach?“ Es gibt zahlreiche Gründe, warum Frauen nicht aus der Prostitution aussteigen (können).

Inhaltsübersicht

Äußere Faktoren, die den Ausstieg aus der Prostitution erschweren

Eingesperrt sein und Bedrohung durch Zuhälter

Frauen, die von Menschenhändlern oder Zuhältern zur Prostitution gezwungen werden, erleben immer wieder, dass sie in Wohnungen eingesperrt werden und tatsächlich nicht fliehen können. Sie werden immer begleitet, sodass sie nie allein unterwegs sind. Wenn sie mit einem Freier in einem Hotel sind, passen Helfer des Netzwerkes auf, dass sie danach nicht allein entwischen kann. Manche dürfen zu einigen Terminen, z. B. zum Nagelstudio allein unterwegs sein, jedoch kontrolliert der Zuhälter in solchen Situationen über das Telefon regelmäßig den Standort und übt durch regelmäßige Anrufe psychischen Druck aus.

Fehlende Finanzen für einen Neustart

Um aus der Prostitution auszusteigen, benötigt es vor allem eine finanzielle Grundlage. Die Miete einer Wohnung und der Lebensunterhalt müssen für einige Zeit ohne eine neue Arbeit gesichert sein.

Da die meisten Personen in der Prostitution aus dem Ausland kommen, stehen ihnen nicht sofort Sozialgelder zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu, sie bekommen auch kein Arbeitslosengeld, da sie als Prostituierte in Deutschland als selbstständig tätige Personen gelten.

In der Realität kämpfen die Frauen jeden Tag finanziell ums Überleben: Die Schulden bei den Zuhältern müssen beglichen werden, die Zimmermiete muss täglich bezahlt werden. Allein diese beiden Kosten vertilgen den Hauptteil der Einnahmen. Der kleine Rest bleibt für persönliche Ausgaben oder die Versorgung der Familien. Es bleibt kein Geld zum Sparen. Dabei wäre ein finanzieller Puffer jedoch notwendig, um z.B. eine Kaution für eine eigene Wohnung zu bezahlen.

 

Keine sichere Wohnmöglichkeit

Viele Frauen haben keine eigene Wohnung, sondern wohnen bei dem Zuhälter oder in einem Zimmer in oder bei den Bordellen. Der Arbeitsplatz ist meistens auch der Wohnort der Frauen, sodass eine Abgrenzung nicht möglich ist. Für den Ausstieg braucht es nicht nur eine eigene Wohnung, sondern auch die Sicherheit vor Zuhältern. Für die Sicherheit brauchen die Frauen räumlichen Abstand. Häufig befindet sich das ganze persönliche Beziehungsnetzwerk im Bereich des Rotlichts, sodass es wenig Kontakte gibt, bei denen sie privat vorübergehend unterkommen könnten.

 

Rechtlich unsichere Situationen

Viele Frauen im Rotlicht kennen ihre eigenen Rechte nicht und sind unsicher, ob sie legal in Deutschland leben. Manchen von ihnen wurde der Pass abgenommen. Sie haben Angst, dass sie dafür rechtlich verfolgt werden. Vor allem bei Frauen aus afrikanischen Herkunftsländern spielt die rechtliche Situation eine große Rolle, da sie häufig nicht in Deutschland bleiben können und ihr Asylantrag abgelehnt wird. Sie fürchten die Rückkehr in die Heimat und bleiben daher eher im illegalen Untergrund.

 

Sprachliche Herausforderungen

Die meisten Frauen in der Prostitution sprechen nur wenig Deutsch. Teilweise waren sie in ihren Heimatländern nur wenige Jahre in der Schule. Manche sind gar Analphabeten. Der Ausstieg ist für sie eine große Herausforderung, da sie für eine andere Arbeit zunächst Sprachkurse und Schulklassen besuchen müssen. In dieser Zeit verdienen sie kein Geld. Nur wenige haben rechtlich einen Anspruch auf finanzielle Unterstützungsleistungen in diesen Zeiträumen. Falls sie es schaffen, eine neue Arbeit zu finden, so fällt es vielen schwer, sich dort zu verständigen oder die Arbeitsanforderungen zu verstehen.

 

Unsicherheit über die Hilfeleistungen vor Ort / Orientierungslosigkeit

Einige Frauen werden von ihren Menschenhändlern oder Zuhältern regelmäßig an neue Orte gebracht. Manche wechseln wöchentlich die Stadt. Dadurch entsteht eine hohe Hilfs- und Orientierungslosigkeit. Hilfestrukturen in der Stadt sind unbekannt, teilweise wissen sie nicht einmal, in welcher Stadt sie derzeit arbeiten.

 

Fehlende Kontakte außerhalb des Rotlichts

Das Rotlichtmilieu wird für viele Frauen wie eine eigene Welt wahrgenommen. Sie sprechen selbst davon, dass es das Milieu und die andere Welt außerhalb gibt. Wer täglich in einem Bordell anschaffen muss, verliert den Kontakt zu Menschen außerhalb. Entweder weil Zuhälter dies gezielt forcieren, oder auch aus dem Grund, dass es einen schweren Spagat bedeutet, beide Lebenswelten für sich zu vereinen. Daher bleiben die restlichen Beziehungen zu anderen Menschen innerhalb desselben Systems. Es mangelt an Freunden außerhalb, die Mut machen, den Ausstieg zu schaffen oder auch tatsächlich darin unterstützen können, ein neues Leben aufzubauen.

Du bezahlst keine Steuern zum Teil, du zahlst keine Krankenversicherung, du bist nirgendswo gemeldet, du hast keine Anschrift für Post, du hast eigentlich gar nichts mehr. Eigentlich existierst du gar nicht mehr für den deutschen Staat, obwohl du trotzdem im deutschen Staat lebst und arbeitest.

Es ist halt verdammt schwierig, wenn du keine Wohnung hast und mitten im Milieu drin bist. Erstens jemand, der eine Wohnung vermietet, möchte einen Arbeitsvertrag von dir haben und eine Lohnabrechnung haben, die hat man schon mal nicht, wenn man im Milieu ist.

Dann wenn du einen Arbeitsvertrag irgendwo unterschreiben möchtest, brauchst du eine Anschrift, wo du gemeldet bist. Hast du nicht als Frau in der Prostitution. Also du kriegst halt keine Wohnung, weil du keinen Arbeitsvertrag hast, du kriegst aber auch keinen Arbeitsvertrag, weil du keine Wohnung hast. Und das ist so ein Hamsterrad, wo der deutsche Staat einfach wegschaut.

Die denken, Prostitution ist ein ganz normaler Job und den Frauen geht’s gut. Aber den Frauen geht’s gar nicht gut in der Prostitution. Die einzigen, die es gut haben in der Prostitution sind die Ladenbesitzer und das war´s. Und vielleicht der Staat, weil sie noch Steuern kassieren dafür.

Innere Faktoren, die den Ausstieg aus der Prostitution erschweren

Angst als lähmender Faktor

Zuhälter benutzen Drohungen und Gewalt als Mittel der Einschüchterung. Entweder die Gewalt wird gegen die Frauen selbst gerichtet oder gegen Menschen, die ihnen wichtig sind. Aus Angst vor den möglichen Folgen der Flucht bleiben sie am Ort der Ausbeutung. Sie entscheiden sich für die eigene Ausbeutung, um damit andere vor Gewalt oder Ausbeutung zu schützen.

 

Sucht und Abhängigkeiten

Drogen und Alkohol gehören im Milieu häufig zu täglichen Begleitern. Manche Freier wollen im Rahmen ihrer gebuchten Zeit gemeinsam mit den Frauen Drogen konsumieren. Für manche Frauen sind Drogen oder Alkohol die einzige Möglichkeit ihre seelischen Schmerzen auszuhalten.

Laut Bundesministerium für Familie nehmen 88% der Prostituierten Substanzen wie Schmerzmittel, Psychopharmaka und Drogen. Wer abhängig ist, braucht für den Ausstieg zunächst den Entzug. Das kann jedoch an vielem scheitern. Manche wollen sich nicht von den Drogen lösen, weil der innere seelische Schmerz als unaushaltbar eingestuft wird und er schwerer lastet, als die Last der Prostitution.

 

Zerstörung der eigenen Ich-Identität

Wer über einen längeren Zeitraum den toxischen Manipulationen eines Loverboys ausgesetzt ist, beginnt all sein Denken und Handeln an dem anderen auszurichten. Eigene Wünsche oder Bedürfnisse haben keinen Raum mehr und verschwinden nach und nach. Gedanken über eine eigene Zukunft verblassen. Betroffene verlieren das Gefühl für sich selbst und leben eher in einem Modus des Funktionierens.

 

Traumatisierungen und Traumafolgestörungen 

Der Alltag in der Prostitution ist voller Gewalt: Auf Frauen urinieren/koten, sie verbal erniedrigen oder würgen, das Penetrieren in alle Körperöffnungen und vieles mehr – all das passiert täglich im Rotlichtmilieu. Regelmäßig muss der Körper Situationen aushalten, die nicht den eigenen Wünschen entsprechen, sondern denen des zahlenden Kunden.

Um dies auszuhalten, benötigt es die Fähigkeit, den Körper von den persönlichen Empfindungen zu lösen und mit der Seele ins Innere zu entfliehen. Dieser Vorgang wird Dissoziation genannt und ist ein Überlebensmechanismus für traumatisierende Situationen, in denen Flucht oder Kampf nicht möglich ist.

Studien von Melissa Farley zeigen, dass die erlebte Gewalt schwere Verletzungen im Gehirn und Posttraumatische Belastungsstörungen verursachen. Panikattacken, Alpträume, Schlaflosigkeit, Dissoziationen, Depression, Selbstverletzung, ein hoher Stresspegel – mit all dem sind die meisten Menschen konfrontiert, die in der Prostitution waren.

Mit diesem Stresspegel befinden sich Betroffene in einem konstanten Überlebensmodus. In diesem Modus hat das Gehirn keine Kapazität, um langfristig über die Zukunft nachzudenken, es zählt einzig das Überleben an dem jeweiligen Tag.

 

Zerstörte Wahrnehmung des eigenen Werts und der eigenen Würde

Wenn Frauen in der Prostitution bereits in der Kindheit sexueller Gewalt ausgesetzt waren (laut Bundesministerium für Familie betrifft dies 43%), prägt das ihre Wahrnehmung von sich selbst.

Langfristige Folgen betreffen das Gefühl für den eigenen Wert. Wer sich selbst als wertlos und beschmutzt empfindet, denkt weniger über andere Optionen für das eigene Leben nach. Die eigene Ausbeutung macht für sie eher Sinn, da ihre Identität durch den Missbrauch geprägt und verletzt wurde. Manche haben durch den eigenen Missbrauch so einen geringen Selbstwert, dass sie denken, dass sie es selbst nicht anders verdient hätten.

Ohne Hilfe von außen ist ein Ausstieg kaum möglich

Als Organisation erleben wir, dass der Ausstieg aus dem Ausbeutungssystem Prostitution allein kaum möglich ist. Es braucht Hilfestrukturen, die sowohl die äußeren als auch die inneren Faktoren ansprechen und ihnen begegnen.

Hier setzten unsere MISSION FREEDOM HOMEs an. Mit unserem Angebot möchten wir Frauen beim Ausstieg und in ihrem Prozess zur Eigenständigkeit unterstützen. Mehr dazu gibt es in dem Bereich „Was wir tun

Ich hab mich vier Monate eingesperrt. Ich bin nicht einen Schritt vor die Haustür gegangen [Anmerkung: Nach Ankunft in der Schutzunterkunft]. Ich hab Verfolgungswahn gehabt. Hab, ja, panische Angst gehabt. Ich hab ins Bett genässt, als ich ausgestiegen bin. Ich hab regelmäßig ins Bett gepinkelt, weil ich panische Angst in der Nacht bekommen hatte und Alpträume hatte.

Und das ist halt – ich hab das damals meiner Psychologin erzählt, ich hab mit ihr gesprochen warum ich bettnässe und so in dem Alter, was ja eigentlich sehr peinlich ist und so. Aber die hat halt gesagt das ist eine Schutzreaktion vom Körper. Wenn der Körper nicht mehr weiß was er machen soll, dann passiert das einfach so.

Und ich war psychisch richtig am Ende gewesen. Ich bin aus dem Milieu ausgestiegen da hatte ich knapp 49 Kilo noch an mir. Ich war fast abgemagert. Ich wäre fast gestorben, weil ich so abgemagert war, obwohl ich drei Mahlzeiten am Tag gegessen habe im Milieu. Aber der Stress hat mich so aufgefressen, dass mein Körper jede Energiereserve verbrannt hat und ich eigentlich nur noch Haut und Knochen war. Und bis heute hab ich halt damit zu kämpfen.

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