Rituelle Gewalt

Der Ausstieg

Der Ausstieg aus einer organisierten rituellen Struktur ist ein mühsames, lebenslanges Unterfangen, das die Täter mit allen möglichen Mitteln zu verhindern versuchen werden. Betroffene benötigen dafür persönliche und professionelle Hilfe von allen möglichen Seiten.

++ Achtung, dieser Text enthält Trigger ++

Inhaltsübersicht

Was bedeutet es „auszusteigen“?

Der Ausstieg aus organisierten rituellen Strukturen beginnt mit dem Erinnern an die erlebte Gewalt und dem langsamen Bewusstwerden, dass die Gewalt noch immer an einem passiert. 

Ausstieg bedeutet, dem Schrecken ins Gesicht zu sehen, zu realisieren, was an einem geschehen ist und sich damit auseinanderzusetzen. 

Aussteiger lösen sich von ihrem vertrauten Netzwerk, von ihren Bindungspersonen. Das ist ein schmerzhafter Prozess und ein jahrelanger Kraftakt. Sie müssen sich nicht nur mit den Erinnerungen auseinandersetzen, sondern auch für persönliche Sicherheit sorgen. Gruppen lassen nicht zu, dass sich jemand einfach so von ihnen distanziert. Immer wieder versuchen sie, die Betroffene an die wichtige Bindung zur Gruppe zu erinnern, bedrohen und zermürben psychisch. Sie triggern mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die erlernten Programme an. Aussteiger sind daher nicht nur mit dem Schrecken der Vergangenheit konfrontiert, sondern auch mit den Herausforderungen der Gegenwart: der Bedrohung durch Täter und das Bestehen der erlernten Programme und Verhaltensweisen. 

Die Struktur der Dissoziativen Identität ist Stärke und Herausforderung zugleich auf diesem Weg. Manche Persönlichkeits-Anteile wollen mit der Gewalt nichts mehr zu tun haben, andere wollen den Kontakt zu Gruppe aus unterschiedlichen Gründen nicht aufgeben, z.B. aus Angst oder einem Gefühl von Zugehörigkeit. Es gibt Anteile, die eine Loyalität gegenüber der Gruppe und der Ideologie empfinden und diese nicht verlassen wollen. Zu den Haupttätern besteht eine tiefe Bindung. Außerdem gibt es in jedem und jeder Betroffenen Anteile, die selbst zum Täter werden mussten und große Schuld empfinden. Sich selbst einen Neuanfang zuzugestehen, bedeutet einen riesigen Schritt für sie. Neben der Last der Schuld trifft sie auch die eigene Erpressbarkeit durch die gefilmten Aufnahmen ihrer Taten.

Manchen Anteilen fällt es schwer, die erlernten Verhaltensweisen und Glaubenssätze abzulegen. Immer wieder nimmt jemand Kontakt zu der Gruppe auf, immer wieder gibt es Retraumatisierungen. Aber: Immer wieder gibt es auch Anteile, die sich neu für den Ausstieg entscheiden und sich mit den Themen Identität und Freiheit auseinandersetzen.

Wie fühlt sich der Ausstieg an?

Ein Ausstieg ist nicht einfach, denn es ist nicht damit getan, den Wohnort oder den Namen zu wechseln. Der äußere Ausstieg ist ein wichtiger Schritt, aber der Innere Ausstieg ist der Weg, der sich über Jahre entwickelt. Der Weg, auf dem der Mut wächst. Auf dem man vielleicht öfter zwei Schritte zurück geht, als einen Schritt vor - und am Ziel wartet das Leben und die Freiheit.

Manchmal ist alles dunkel um dich herum, denn du und ihr könnt die Erfahrungen, antrainiertes Verhalten, Denk- und Glaubensmuster nicht wie alte Kleidung ablegen und vieles zeigt sich auch erst durch den räumlichen Abstand.

Die Angst ist groß, denn die Welt außerhalb der Gruppe ist so anders als die Täter sie dir vom Beginn deines Lebens dargestellt haben. Alles ist fremd und neu.

Langsam, Schritt für Schritt, darfst du diese Welt kennenlernen und ihr dürft euch, die in diesem Körper leben, kennenlernen. Ihr begreift und entdeckt, dass diese Welt viel mehr für euch bereithält als Schmerz, Leid und Dunkelheit. Da sind plötzlich Menschen, die euch ein Zuhause geben. Ein Zuhause, in dem niemandem wehgetan wird und man erfahren darf sich geborgen und sicher zu fühlen. Nach und nach beginnst du zu vertrauen. Und irgendwann stellt ihr euch die Frage: Wer bin ich? / Wer sind wir?

Den Ausstieg wagen

Je nachdem aus welcher Gruppierung Betroffene aussteigen, kann sich der Ausstieg unterschiedlich gestalten. Die Art und der Umfang der Programmierungen unterscheiden sich, ebenso die Frage, ob die Gruppe weiterhin versucht, den Ausstieg mittels Drohungen und Gewalt zu verhindern oder nicht. Für manche Aussteiger/-innen ist ein geschützter Wohnraum mit räumlicher Distanz zu den Tätern sehr wichtig. Für andere Aussteiger ist die Anbindung an ein lokales Helfernetzwerk aus Therapeuten, Beratungsstellen und Freunden essenziell.

Bei all den Fragen bleibt immer deutlich: der Ausstieg benötigt Zeit und eine gute langfristige Begleitung durch andere Menschen. Menschen, die Mut machen und zuhören sind genauso wichtig wie Menschen, die professionell therapeutisch begleiten. Begleiter im Ausstieg brauchen eine Offenheit im Zuhören und sollten einen Raum für Themen wie eigene Täterschaft, Schuld und Scham geben, der frei von jeglicher Verurteilung ist. Gerade bei Ritueller Gewalt wird deutlich, dass Ausstieg zwar auch mit einem äußerlichen Schritt zusammenhängt, es sich aber grundlegend vor allem um einen inneren Prozess handelt. Wer jahrelang gezielter Manipulation, Folter und Gehirnwäsche ausgesetzt war, braucht Zeit, diese Muster im eigenen Denken, Fühlen und Handeln zu verstehen und neu zu lernen.

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