Die CDU/CSU-Fraktion fordert in einem Antrag die Bestrafung von Sexkauf. Der Bundestag hat diesen Antrag am 23.02.2024 erhalten und zur weiteren Bearbeitung an einen Ausschuss weitergeleitet. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat am Montag, den 23.09.2024 Sachverständige in einer Anhörung dazu befragt und Stellungnahmen angefordert.
Hier kann man den Antrag der CDU/CSU lesen:
Rund um die Anhörung wurden viele Stellungnahmen zu dem Thema geschrieben. Knapp 40 kann man auf der Website des Bundestag dazu einsehen:
Deutscher Bundestag – Bundestag berät Forderung nach Sexkaufverbot
Als gemeinnütziger Verein MISSION FREEDOM begrüßen wir den Antrag und die vorgeschlagenen Maßnahmen der CDU/CSU-Fraktion vom 20.02.2024 als einen wichtigen Schritt in Richtung Bekämpfung von sexueller Ausbeutung und Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland.
Mission Freedom e.V. leistet seit 2011 an mittlerweile zwei Standorten in Deutschland aufsuchende Arbeit im Rotlichtmilieu und Ausstiegshilfe für Frauen aus unterschiedlichen Hintergründen von Prostitution. Im Rahmen von zwei Wohngruppen haben wir rund 110 Frauen stationär mit Beratung und Alltagsbegleitung intensiv über mehrere Monate im Ausstieg unterstützt, mehrere hundert weitere Personen regelmäßig im Milieu angetroffen oder telefonisch begleitet.
Neben der Studienlage und den öffentlichen Stimmen von Betroffenen wie Sandra Norak und Huschke Mau, sind es vor allem die Fragen und Sorgen der von uns begleiteten Frauen, die uns dazu gebracht haben, unsere Haltung gegenüber der Prostitutionsgesetzgebung zu reflektieren und uns klar für eine Förderung von Ausstieg und ein Verbot von Sexkauf auszusprechen. Einige von den von uns betreuten Frauen nutzen ihre Stimmen inzwischen selbst öffentlich, die allermeisten sind dazu noch nicht in der Lage. Wir wollen auf ihre Situation aufmerksam machen.
Über 20 Jahre nach der Implementierung des Prostitutionsgesetzes (ProstG) nehmen wir die Situation in der aufsuchenden Arbeit in den Rotlichtmilieus wie folgt wahr:
Trotz Legalisierung der Branche und Genehmigungsverordnungen für Prostitutionsstätten findet Prostitution in prekären Umständen und teilweise sehr abgelegenen Orten statt. Die Befürchtung, dass sich Prostitution durch ein Sexkaufverbot in abgelegene Orte verschieben könnte, ist keine Zukunftssorge, sondern heutige Realität. Neben den bekannten Rotlichtbezirken prostituieren sich Menschen in einsamen Wohnmobilen am Wald, an Landstraßen und auf LKW-Parkplätzen, auf Parkplätzen im Wald, in abgelegenen Wohnungen und in Apartments in Wohn- und Industrievierteln. Viele dieser Stätten sind in einem baulich heruntergekommenen Zustand und offenbaren prekärste Umstände. Frauen, die alleine in einem Waldgebiet in einem Wohnmobil anschaffen, sind Freiern schutzlos ausgeliefert.
Dort, wo Prostitution nicht in abgelegenen Gebieten, sondern in bekannten Rotlichtvierteln stattfindet, sind Menschen in Prostitution mit der Situation konfrontiert, dass diese Viertel durch kriminelle Strukturen kontrolliert und organisiert werden. Mehrfach berichteten uns Aussteigerinnen, die in bekannten Rotlichtvierteln gearbeitet haben, dass sie dort nicht lange selbstständig bleiben konnten, sondern immer wieder unter Kontrolle von Zuhältern und Gruppierungen geraten sind. Der Rahmen von legaler Prostitution bietet kriminellen Strukturen ideale Bedingungen, um vulnerable Menschen auszubeuten und dabei hohe Gewinne zu erwirtschaften. Immer mehr Zuhälter wenden emotionale Manipulationstechniken an, um Frauen in Prostitution an sich zu binden. Die Auswirkungen dieser Trauma-Bindungen beinhalten Gedanken von vermeintlicher Freiwilligkeit im Rotlichtgewerbe bei gleichzeitiger Ausbeutung, sowie ein negatives Selbstbild und eine (emotionale) Abhängigkeit von den Tätern.
Die befürchtete Gefahr, dass sich Umstände in der Prostitution durch ein Sexkaufverbot verschlimmern könnten und die Betroffenen mehr Gewalt ausgesetzt seien, ist ein Hohn im Angesicht der Tatsache, wie gewaltvoll die Situation für viele schon jetzt ist. In der aufsuchenden Arbeit kommen wir regelmäßig in Kontakt mit Frauen, deren Körper von Gewalterfahrung gekennzeichnet und die einem Umfeld von psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind. Allein die Tatsache, dass dieses Tätigkeitsfeld von Panik-Knöpfen und Sicherheitspersonal geprägt ist, zeigt deutlich, wie gefährlich es bereits jetzt ist.
Der Großteil der Menschen in Prostitution kommt aus dem Ausland und spricht wenig bis kaum Deutsch. Nur wenige verlassen ihre Prostitutionsstätte selbstständig und sind in der Lage, sich in der Stadt zu orientieren. Sie haben keinen angemeldeten Wohnsitz und keine Krankenversicherung. Viele haben im Heimatland eine Familie, die sie finanziell versorgen müssen. Vermehrt begegnen wir auch Frauen mit seelischen und/oder körperlichen Behinderungen, die fernab ihres Heimatlandes für sexuelle Dienstleistungen bezahlt werden. Aufgrund ihrer Behinderung ist es ihnen nicht möglich, selbstbestimmt einer Arbeit nachzugehen.
Wir unterstützen Frauen aus unterschiedlichen Hintergründen von Prostitution im Ausstieg. Manche kommen aus Armut in die Prostitution, andere durch einen Zuhälter, andere freiwillig, wieder andere steigen aus organisierten kriminellen Strukturen aus.
Sie alle haben in ihrer Biografie bereits vor der Prostitution verschiedene Formen von Gewalt erlebt, die sie geprägt hat. Wer in der Kindheit Grenzverletzungen wie sexuellen Missbrauch oder auch emotionale Vernachlässigung erfahren hat, erlebt in Folge dessen häufig weitere grenzüberschreitende Beziehungen, da Betroffene wenig bis kaum lernen konnten, gute und wichtige Grenzen in Beziehungen zu setzen. Eine typische Folge dieser Art von Missbrauch ist Prostitution. Prostitution kann in diesem Kontext nicht als selbstbestimmt und selbstständig eingeordnet werden, sondern weist Formen von Reinszenierung und Selbstverletzung auf.
Ein Großteil der Frauen, die wie begleiten, hat sowohl Phasen von Zwang als auch Phasen von „Freiwilligkeit“ in ihrer Zeit der Prostitution erlebt. Manche sind freiwillig eingestiegen, haben im Rotlichtmilieu erlebt, dass sie dort an Zuhälter oder Menschenhändler geraten sind. Andere sind über kriminelle Strukturen in das Prostitutionsmilieu gekommen, konnten sich davon loslösen und sind anschließend jedoch aufgrund von mangelnder Schulbildung, Wohnungslosigkeit und fehlendem Netzwerk außerhalb des Milieus in der Prostitution in prekären Umständen geblieben. Wir erleben, dass eine Unterscheidung der Biografien in die Kategorien „Zwang“ oder „freiwillig“ schwierig ist. Der Begriff „freiwillig“ ist ebenfalls in der Praxis herausfordernd, denn was bedeutet Freiwilligkeit in dem Leben der Personen, die wir antreffen? Prägung durch Gewalt seit der Kindheit, Armut, Alternativlosigkeit, Sucht, Obdachlosigkeit sind typische Merkmale in Biografien von Menschen, die „freiwillig“ in Prostitution sind. Uns ist bewusst, dass es Personen gibt, die durchaus selbstständig, selbstbestimmt und in der Tat freiwillig der Prostitution nachgehen. Dennoch machen diese Personen nur einen kleinen Teil der Szene aus und können nicht den größeren Teil der vulnerablen Personen repräsentieren.
Wir erleben in unserer Arbeit, dass Frauen erst im Ausstieg merken, wie stark sie durch die Zeit in der Prostitution traumatisiert wurden. Erst im Ausstieg wird das Ausmaß von Posttraumatischen Belastungssymptomen deutlich. Während der Prostitution befinden sich Betroffene in einer Art Überlebensmodus und funktionieren. In dieser Zeit sprechen sie positiv über ihre Lebensumstände. Ein aus psycho-traumatologischer Sicht verständliches Verhalten. Zum einen ermöglicht es ihnen ein Aushalten der Situation, zum anderen sind durch den hohen Stress in der Prostitution und die Notwendigkeit, stets in höchster Alarmbereitschaft zu sein (jeder Kunde könnte plötzlich gewalttätig werden), in gewisser Weise abgespalten von allem, was nicht für das akute Überleben notwendig ist – auch von den Erinnerungen an erfahrene Gewalt und von der Fähigkeit über Alternativen nachzudenken.
Erst, wenn sie nicht mehr in der (lebensbedrohlichen) Situation sind und der akute Stress nachlässt, reflektieren sie im Nachgang (im Ausstieg), wie stark sie durch diese Zeit negativ geprägt wurden. Dieses Muster erleben wir bei fast jeder Ausstiegsbegleitung: Während der Prostitution wird diese verklärt, um sich selbst darin zu schützen und mit etwas Abstand wird diese Zeit deutlich klarer und destruktiver sowie schädigend wahrgenommen. Diese Schilderungen sind keine subjektiven Wahrnehmungen, sondern lassen sich objektiv an den Einzelnen beobachten: Sie leiden unter den Folgen der PTBS, kämpfen gegen vielfältige körperliche Folgeerscheinungen, leiden unter psychosomatischen Schmerzen am ganzen Körper. Chronische Folgeerkrankungen sowie langfristige seelische Behinderungen sind typische Folgen. Ein Wechsel in einen anderen Beruf ist nicht einfach möglich, sondern benötigt mindestens mehrere Monate an psychischer und physischer Stabilisierung.
Aufgrund dieses Ausmaßes an Folge-Erkrankungen, die wir im Rahmen unserer Arbeit bei Betroffenen feststellen, treten wir für ein Gleichstellungsmodell in der Prostitutionspolitik ein. Wir erleben die katastrophalen Auswirkungen von jahrelanger Prostitution auf den einzelnen Menschen. Wir wünschen uns, dass Menschen davor bewahrt werden und alle (politischen) Anstrengungen unternommen werden, damit sie Unterstützung in ihrer vulnerablen Lebenssituation erhalten und sich nicht prostituieren und damit langfristig schädigen müssen. Hier spielt der Aspekt von Prävention und Aufklärungsarbeit des Modells in Schulen eine wesentliche Rolle sowie die Einführung der Norm, dass Prostitution kein normaler Beruf ist und es nicht in Ordnung ist, wenn Menschen den Körper einer anderen Person kaufen, um diesen für Sex zu benutzen.
Freier stehen in der jetzigen Gesetzgebung in der Verpflichtung, zwischen freiwilliger und erzwungener Prostitution zu unterscheiden, um sich nicht strafbar zu machen. Woran sollen Freier diesen Unterschied jedoch festmachen können? Und: Interessiert es den Großteil der Freier überhaupt?
Warum gehen sie zu Menschen, die kein Deutsch oder Englisch sprechen können? Welches Menschenbild haben Freier von Frauen, wenn sie diese in Verrichtungsboxen penetrieren? Oder wenn sie sexuelle Handlungen erzwingen, die in Deutschland strafbar sind?
Uns ist bewusst, dass es unterschiedliche Freier gibt. Aber wenn man davon ausgeht, dass der Großteil der Menschen in Prostitution junge Frauen aus dem Ausland sind, die kaum Deutsch sprechen, keinen Schulabschluss haben und in Armut leben, dann nehmen die meisten Freier in Kauf, ihre sexuelle Befriedigung auf dem Rücken von jungen vulnerablen Frauen aus dem Ausland auszuleben, weil diese für sich keine Alternative zum Überleben sehen. Das ist keine tragbare Situation für ein Land wie Deutschland, dass sich für die Gleichstellung der Geschlechter stark macht und sexuelle Übergriffe ächtet. Das Gegenteil davon findet in der Prostitution jedoch in großem Stil statt. Die Antwort auf dieses Ausnutzen von Armut kann nicht sein, dass wir weiterhin einen legalen Rahmen dafür schaffen, sondern dass wir diese Form von Nachfrage ächten. Hier setzt das Gleichstellungsmodell aus dem Antrag der CDU/CSU an, das Nachfrage bestraft und ächtet, denn: Diese Nachfrage widerspricht den Grundsätzen von Würde und Gleichheit und widerspricht allen anderen Bemühungen gegen Sexismus und Rassismus in Deutschland. Das Gleichstellungsmodell schafft eine neue Norm, nämlich dass das Kaufen von Menschen nicht in Ordnung ist. Sexualität soll keine Ware sein, die den Menschen zum Objekt degradiert, sondern soll durch dieses normative Gesetz geschützt werden. Dass sich dadurch nicht die Ursachen von Armut sowie die Ursachen der Nachfrage lösen ist klar. Daher benötigt es noch ergänzende Komponenten.
Hier fordern wir:
Wir fordern ein Umdenken in der deutschen Prostitutionspolitik und eine Gesetzgebung, die sich am Nordischen Modell orientiert.
An dieser Stelle möchten wir weitere Stellungnahmen zu dem Antrag der CDU/CSU empfehlen, weil sie einen guten fachlichen Einblick in das Thema geben:
Viele weitere Stellungnahmen sind auf der Seite Deutscher Bundestag – Bundestag berät Forderung nach Sexkaufverbot zu finden.
Hier kannst Du unseren Blogbeitrag zum Nordischen Modell lesen:
Das Nordische Modell – Mission Freedom (mission-freedom.de)
Ergänzend empfehlen wir diese Website:
Nordisches Modell (bundesverband-nordischesmodell.de)
040 – 3619 7115
kontakt@mission-freedom.de
Gaby Wentland ist hier
telefonisch nicht erreichbar. Anfragen an sie bitte nur per E-Mail.
Setzen Sie ein Zeichen gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Helfen Sie uns und den Frauen.
© 2022 MISSION FREEDOM e.V.