Prostitution und ihre Folgen

Wenn Frauen aus der Prostitution aussteigen, beginnt ein langsamer Heilungsprozess. Für uns, denen die Erlebnisse der Prostituierten erspart geblieben sind, ist das Ausmaß der Folgen nur schwer vorstellbar. Wir konnten viele Frauen im Ausstieg begleiten und möchten hier einige unserer Beobachtungen – ergänzt durch das Wissen kompetenter Partner – weitergeben. Welche Folgen bewirkt Prostitution denn tatsächlich?

Worüber reden wir bei Prostitution?

Wenn wir hier von Prostitution sprechen, dann meinen wir nicht die Frauen, die sich SexarbeiterIn nennen und ab und an einen Freier bedienen, den sie sich selbst aussuchen können. Wir sprechen über die Art von Prostitution, die in Großbordellen, Laufhäusern, Appartements, dem Straßenstrich und in Wohnmobilen sichtbar ist: Frauen, die täglich anschaffen müssen, ohne Alternativen im Leben, die ihr Geld an Zuhälter oder Andere abgegeben müssen. Prostitution, die von Elend und Zwang geprägt ist. Prostitution, die durch Loverboys geprägt wird. Prostitution, die aufgrund der eigenen missbräuchlichen Lebenserfahrungen als alternativlos angenommen wird.

Die genannten Folgen beziehen sich durchaus auf Prostitution die rechtlich nicht immer unter Zwangsprostitution fallen würde. Im Kontext von (rechtlich definierter) Zwangsprostitution könnten noch weitere Folgen genannt werden. 

Eine Folge von Prostitution ist ANGST

Angst ist ein ständiger und bedrohlicher Begleiter im Ausstiegsprozess. Frauen, die Gewalt erlebt haben und von anderen ausgebeutet wurden, leiden in Folge längere Zeit unter vielen Ängsten.

Die Angst von dem/der ZuhälterIn gefunden zu werden ist immer da. Bei jeder Fahrt mit dem Zug ist die Angst da, dass am nächsten Bahnhof der/die ZuhälterIn stehen könnte.

Eine weitere Angst ist, dass der Familie etwas passiert. Einige ZuhälterInnen arbeiten mittels einer Bedrohungsstrategie, der Familie etwas anzutun, falls die Betroffene jemals aussteigen würde. Der eigene Ausstieg ist dann von der Furcht begleitet, dass dies auf Kosten von geliebten Menschen passieren könnte.

Hinzu kommt eine Angst, dass Menschen um einen herum hinter die eigene Maske sehen können und einem den Stempel “Prostituierte” setzen. Bei vielen Alltagssituationen ist eine Angst da, dass andere herausfinden, was man früher gemacht hat. Die eigene Scham über das Erlebte wird zur Angst, dass andere einen verurteilen und ausgrenzen.

Eine Folge von Prostitution ist KRANKHEIT

Der gesundheitliche Zustand vieler Frauen in Prostitution ist verheerend. Die große Mehrheit hat keine Krankenversicherung. Trotz Krankheit wird weiter täglich angeschafft. Das hinterlässt langfristige Folgen.

Extremer und ständiger Stress hinterlässt seine Spuren in Form von Voralterung, permanenten Bauchschmerzen, Gastritis und Infektionen. Weitere typische Krankheitsfolgen sind eine zerstörte Darmflora, Erkrankungen im Zahn-Mund-Kieferbereich, Hautekzeme, überall Schmerzen, insbesondere im Unterleib und im Hüftbereich, irreversible Beckenboden-Schwächen (Probleme mit Urin lassen bzw. Stuhlgang).

Langzeitfolgen sind Schlafstörungen, Panikattacken und posttraumatische Belastungsstörungen, die häufig mit anderen Themen wie Depressionen, Sucht und Essstörungen verbunden sind.

Quelle: Unsere eigenen Erfahrungen in der Begleitung von Aussteigerinnen, ergänzt durch Berichte von Gynäkologen auf trauma-and-prostitution.eu und prostitutionresearch.com

Eine Folge von Prostitution ist SUCHT

Abhängigkeiten, Süchte und Zwänge prägen den Alltag im Milieu. In einer Studie des Bundesfamilienministeriums (2004) gaben 88% der Frauen in Prostitution an, regelmäßig Substanzen wie Schmerzmittel, Psychopharmaka oder Drogen in der Prostitution zu nehmen.

Manche Frauen kommen aufgrund ihrer Drogensucht in die Prostitution, um Geld für Drogen zu beschaffen. Viel häufiger ist es jedoch anders herum: Frauen, die auf unterschiedlichen Wegen in die Prostitution gekommen sind, trinken Alkohol und nehmen Drogen, um ihren Alltag voller Gewalt und Erniedrigung auf dem Strich oder im Bordell auszuhalten. Innere Schmerzen können durch Drogen beruhigt werden, Aufputsch-Drogen vermitteln Rauschgefühle und helfen dabei, über Stunden und Tage wach zu bleiben, um zu arbeiten. Einige Zuhälter geben „ihren Frauen“ bewusst Drogen, um sie über Tage wach in der Prostitution zu halten und um sie durch ihre Abhängigkeit kontrollieren zu können. Essstörungen und Waschzwänge sind weitere typische Begleiterscheinungen.

Beim Ausstieg macht die Drogensucht besonders zu schaffen. Ohne Krankenversicherung ist ein Entzug in Deutschland nur selten in einer Klinik möglich. Wer den Entzug schafft, steht im Ausstieg jedoch vor der großen Hürde sich vielen schmerzhaften inneren Themen therapeutisch zu stellen, ohne wieder in Sucht-Abhängigkeiten zu fallen.

Quelle: Studie: “Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Eine Folge von Prostitution ist eine zerstörte IDENTITÄT

Was macht Prostitution mit der eigenen Identität?

Wenn wir in der Ausstiegsbegleitung nach Wünschen in der Zukunft fragen, erscheint oft ein ahnungsloses Achselzucken – „Keine Ahnung“. Wenn wir nach Stärken oder Vorlieben fragen – „keine Ahnung“. Vielen Aussteigerinnen fällt es schwer, eigene Entscheidungen zu treffen oder eigene Wünsche zu formulieren – und das ist kein Wunder.

In der Prostitution geht es täglich darum, keine eigenen Wünsche zu haben. Immer haben die Bedürfnisse der Freier Vorrang. Das ist nur auszuhalten, wenn man eigene Wünsche negiert. Nicht nur die Freier diktieren den Alltag, auch die Wünsche der Zuhälter bestimmen das Denken und Handeln der Frauen. Wenn kleinste Ungehorsamkeiten durch Gewalt bestraft werden und Zuhälter bewusst mit Manipulationen arbeiten, so richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit auf die Zuhälter, um weitere Strafen zu vermeiden.

Es bleibt kein Raum für eigene Gedanken, wenn sich alle Gedanken um die Täter drehen.

Dies wird ergänzt von Gefühlen der eigenen Wertlosigkeit, von Scham und von dem großen Gefühl, man selbst wäre falsch. In der Ausstiegsbegleitung erleben wir immer wieder in normalen zwischenmenschlichen Missverständnissen, dass Betroffene sofort denken, sie seien schuld, sie seien schlecht und sie seien falsch. Diese Gedanken haben Täter über langen Zeitraum in sie gesät und es dauert Zeit und Kraft, neue Gedanken über sich zu finden und in eine eigene gesunde Identität zu wachsen.

Eine Folge von Prostitution ist TRAUMA

Der Großteil der Frauen entwickelt eine schwere und komplexe Traumatisierung in der Prostitution. Die Folgen der Traumata bleiben über viele Jahre.

68% der Frauen in Prostitution entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung, die in ihrer Ausprägung mit der von Kriegsveteranen und Folteropfern vergleichbar ist. (Studie von Melissa Farley, 2003). Außerdem belegen weitere Studien, dass das Risiko, in der Prostitution eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, höher ist als eine im Krieg zu entwickeln.

Was bedeutet es, eine posttraumatische Belastungsstörung zu haben?

Der Körper ist permanent entweder unter zu hoher oder zu niedriger Anspannung. Das bedeutet, der Alltag ist entweder von Panikattacken oder Dissoziationen geprägt. Kleinigkeiten wie ein Wort, ein Geräusch oder ein Duft, die im Alltag begegnen, können schlimme Erinnerungen antriggern und die betroffene Person erlebt dann im Alltag die Gefühle und die Bilder aus der schlimmen Situation erneut. Das kann bedeuten, dass man im Supermarkt zufällig etwas riecht, das einen ganz plötzlich triggert und man dann unfähig ist, den Einkauf fortzusetzen, da der Körper denkt, man wäre wieder in der traumatischen Situation. Manche fallen dann hin und sind nach Außen nicht mehr ansprechbar, bis der Flashback vorbei ist. Durch die Dissoziationen ist zwar der Körper in einer Situation anwesend, aber die Person ist nicht bewusst dabei. Dadurch entstehen viele Zeitlücken und das Gefühl von Kontrollverlust.

Diese Art von schweren komplexen Traumafolgen begleiten Aussteigerinnen über Jahre und erfordern neben einer guten Therapie einen traumasensiblen Umgang des Umfelds.

Mehr Informationen unter: www.trauma-and-prostitution.eu und www.prostitutionresearch.com

Eine Folge von Prostitution ist VERLUST

Wenn Frauen aus der Prostitution aussteigen ist da häufig das Gefühl “Ich habe gar nichts mehr im Leben”. Mit Mitte 30 oder 40 kann es sein, dass andere sich ein Leben aufgebaut haben. Aussteigerinnen, die minderjährig oder mit Anfang 20 in die Prostitution gekommen sind, sehen sich einer anderen Situation ausgesetzt.

Da ist kein soziales Umfeld außerhalb des Milieus, keine eigene Wohnung, kein vertrautes Zuhause, keine Familie bei der sie Zuflucht suchen können, kein Erspartes (im Gegenteil häufig sehr hohe Schulden), keine Ausbildung, kein oder kaum Kontakt zur Familie und den eigenen Kindern. Keine Kraft mehr, keine Träume.

Manche Aussteigerinnen kamen bei uns in den Schutzhäusern mit nichts als den Kleidern an, die sie anhatten. Manche haben durch die Prostitution ihre Kinder verloren, die meisten tragen langfristige gesundheitliche Schäden. Fast alle verlieren den Glauben an ihren eigenen Wert.

Im Verarbeitungsprozess über die Zeit in der Prostitution kommt daher auch das Thema “Verlust” auf.

Sie müssen noch einmal ganz von vorne anfangen, sich alles neu aufbauen. Das ist ein enormer Kraftakt und kostet viel Zeit und Nerven.

Prostitution hinterlässt viele Spuren. Mit einem äußeren Ausstieg aus dem Milieu ist nicht plötzlich alles anders. Die Folgen belasten Aussteigerinnen über einen langen Zeitraum.

In unseren Schutzhäusern begleiten wir Frauen auf diesem Weg und bekommen täglich hautnah mit, wie unglaublich schwierig dieser ist. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass das ausbeuterische System Prostitution verschwindet und nicht weiter täglich das Leben von vielen tausenden Frauen zerstört.

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