Zwangsprostitution im Kölner Studentenwohnheim: Warum wollte niemand hinsehen?

Chronologie eines Skandals: Wie Hinweise auf mutmaßliche Zwangsprostitution in einem Wohnheim monatelang ignoriert wurden.

Köln-Ehrenfeld, Herbst 2024. Im sogenannten „4711-Haus“ an der Venloer Straße 241–245 häufen sich merkwürdige Beobachtungen. Immer wieder tauchen dieselben Männer vor dem Gebäude auf. Fremde, die sich nicht wie gewöhnliche Besucher verhalten, sondern gezielt bestimmte Wohnungen aufsuchen – und junge Frauen begleiten, die offenbar dort „arbeiten“. Das Wohnheim, offiziell als Unterkunft für Studierende ausgewiesen, wirkt zunehmend zweckentfremdet. Bald kursieren erste Gerüchte: Prostitution mitten im Studentenwohnheim? Anfangs bleiben es stille Beobachtungen, vereinzelte Beschwerden wegen Lärm und irritierender Begegnungen. Doch im Frühjahr 2025 wird das Ausmaß deutlich: Das Wohnheim ist Schauplatz mutmaßlicher Zwangsprostitution. Junge Frauen, vor allem aus Osteuropa, bedienen in studentisch eingerichteten Zimmern Freier – systematisch, unter Aufsicht, offenbar unter Druck. Der Zuhälter sitzt regelmäßig vor dem Eingang, Freier gehen ein und aus. Andere Studenten berichten von Belästigungen, von Angst, von schlaflosen Nächten. Die emotionale Belastung steigt, einige halten es nicht mehr aus und ziehen aus. Die Studierenden wenden sich hilfesuchend an Vermieter, Verwaltung und Behörden. Doch statt Unterstützung erhalten sie bürokratische Aufforderungen: Lärmprotokolle, Beschwerdeformulare. Die Lage bleibt unverändert. 

„Ich hab denen 4× so Protokolle anfertigen müssen.“

Wir sind mit den Studierenden in Kontakt und dokumentieren auf ihren Wunsch hin die Geschehnisse im Wohnheim 4711 – eine Chronologie des Scheiterns, die erneut aufzeigt, dass unsere Gesetze nicht ausreichen, sexuelle Ausbeutung in einem legalen Rahmen von Prostitution gut zu verfolgen.

Oktober 2024 – Prostitution im Wohnheim beginnt

Ab etwa Oktober 2024 traten erstmals Lärmbelästigungen aus Zimmer 305 auf – zeitlich exakt mit dem offiziellen Einzug von Ma. Z. Zuvor war das Zimmer offenbar über längere Zeit unbewohnt oder zumindest völlig geräuschlos. In den Monaten Oktober bis Februar wurde mehrfach an der Tür von 305 geklopft. Fast immer öffnete eine Frau namens Gi. E., regelmäßig in Begleitung wechselnder Männer. Hinweise auf die Lärmbelästigungen führten zu keiner Änderung des Verhaltens.

Das Gebäude besteht aus mehreren Nutzungseinheiten: 

  • Erdgeschoss: Restaurants (u. a. das „Lost Monk“) 
  • 1. bis 4. Etage: Studentenwohnheim 
  • 5. bis 9. Etage: Hotel 

Das Hotel beginnt ab der 5. Etage und verfügt über einen eigenen Eingang mit Rezeption auf Straßenniveau. Der Zugang zum Hotel ist entweder über diesen separaten Eingang oder – bei entsprechendem Transponder – auch über das Wohnheim möglich. Studierende haben keinen Zugang zum Hotelbereich. Die Zimmer 305 und 425, die sich im Bereich des Studentenwohnheims befinden, werden im Zusammenhang mit vermuteter Prostitution wiederholt erwähnt.

Januar 2025 – Erste Beschwerden versickern im „Datenschutz“

Die Bewohner des Wohnheims haben sich wiederholt bei der Hausverwaltung beschwert – nicht nur wegen der mutmaßlichen Zweckentfremdung von Wohnraum, sondern auch aufgrund konkreter alltäglicher Störungen: Freier sprechen andere Studentinnen an, klopfen an Zimmertüren, und aus einigen Zimmern sind regelmäßig nachts Möbelrücken, Stampfen und Schreie zu hören, die bis in andere Wohneinheiten dringen. Bis Januar 2025 war die Corestate Capital Group für die Verwaltung des Wohnheims zuständig. Trotz mehrfacher Beschwerden durch Studierende reagierte sie nicht. Ende Januar 2025 übernahm die Firma Placed die Hausverwaltung. Die Bewohner hofften auf Besserung. Nach Angaben eines Bewohners/Mieters L. haben sich mindestens acht bis neun verschiedene Personen unabhängig voneinander an die Verwaltung gewandt. Die Beschwerden blieben jedoch unbeantwortet oder wurden unter Verweis auf den Datenschutz abgeblockt. Die standardisierte Antwort lautete sinngemäß:

Ebenso berichtet S., dass sie immer wieder die gleichen Männer sieht, die dort stehen und für die jungen Frauen zuständig scheinen. Sie vermutet, dass es die Zuhälter sind.

“Die mutmaßlichen Aufpasser oder Zuhälter halten sich überwiegend vor dem Gebäude und im Eingangsbereich auf – meist sitzend auf dem Platz davor. Auffällig ist, dass sie über lange Zeiträume hinweg immer wieder am gleichen Ort zu sehen sind – teilweise stundenlang oder über den gesamten Tag hinweg. Studierende beobachten sie aber auch regelmäßig im Inneren des Gebäudes: Sie laufen durch die Flure, begleiten einzelne Frauen zu den Zimmern und halten sich offenbar auch in denselben Wohnungen auf. Aufgrund dieser Häufung und der wiederkehrenden Präsenz gehen viele nicht davon aus, dass es sich um gewöhnliche Freier handelt, sondern um organisierte Kontrolleure oder Zuhälter.”

Februar 2025 – Erste Versuche, Hilfe zu holen

L. alarmiert die Polizei – mit einer Audioaufnahme einer weinenden Frau. Auf der Tonspur kann man hören, wie sie geschlagen wird. Ergebnis: keine Maßnahme.

„Die Polizei hörte sich die Aufnahme an und sagte: Damit können wir nichts tun.“

Polizei konnte bei Kontrollen im Herbst keine Straftaten feststellen.

Aus dem Lärmprotokoll eines Bewohners: 

März 2025: Die Verwaltung bittet um Lärmprotokolle

Nach dem Auszug von Gi. E. (März) begann Ma. Z., das Zimmer etwa alle ein bis zwei Wochen mit neuen Frauen zu belegen. Ab diesem Zeitpunkt kam es zunehmend zu sichtbarer Eskalation: regelmäßige Sichtungen von Freiern, Aufpassern und fremden Männern im Gebäude. Was zu Beginn noch nach unklaren Vermutungen klang, entwickelt sich für die Bewohner zu einer beunruhigenden Spur. Online tauchen Sex-Anzeigen auf – mit Namen wie „Trixi“, „Lusy“, „Xenia“. Die Bilder zeigen eindeutig Zimmer aus dem Wohnheim. Die Möblierung ist identisch mit denen der standardisierten Apartments.

Bei einigen Mädels weiß man auch nicht, ob sie wirklich 18 sind. Es ist schwer zu erkennen.

Die Menge an durchrotierenden Prostituierten ist krass. Das wirkt alles organisiert.

In den folgenden Screenshots aus dem Freiermagazin wird die Nutzererfahrung mit Trixi, Lucy und Xenia dokumentiert. Die zitierten Kommentare spiegeln die oft ausbeuterische und entmenschlichende Haltung einiger Freier wider und verdeutlichen die problematischen Dynamiken in solchen Foren.

Der Mieter L. fragt immer wieder bei der Hausverwaltung nach und beschwert sich wegen des massiven Lärms, der jede Nacht auftritt. Die Verwaltung forderte anfangs eine nicht näher definierte Menge an Lärmprotokollen über einen unbestimmten Zeitraum. Gleichzeitig verweigerte sie jegliche Auskunft über den Stand der Abmahnungen oder eine mögliche Kündigung des Mietverhältnisses – unter Verweis auf „Datenschutzgründe“.

Auszug aus Lärmprotokoll

Freier klopfen an Zimmertür anderer Studentinnen

Immer wieder Verwechslungen, Belästigungen, Andeutungen
Regelmäßig kommt es zu Verwechslungen und Belästigungen. Studentinnen werden von Freiern belästigt, weil man sie für Prostituierte hält. Studentin Se. schildert ein Gespräch mit einem Freier: „Ich hab gerade mit der da oben gef*ckt.“ Andere berichten von versuchten Eindringversuchen in ihre Zimmer durch Freier. Studentin Sv. erzählt von einem Zuhälter, der stundenlang vor dem Haus steht und Frauen beobachtet.

Ich war an einem Abend mit einer Freundin aus dem Gebäude raus, und der Zuhälter war da schon seit mindestens drei Stunden am Platz, hat Leute beobachtet usw. Beim Rausgehen war er fast direkt neben uns, und wir sind dann erstmal nach rechts in Richtung Hauptstraße gegangen – hinter eine Wand, wo er uns eigentlich nicht hätte sehen können. Nach ein paar Minuten sind wir dann über die Straße zum Kiosk gegangen und haben mit dem Verkäufer geredet. Wir waren die einzigen dort. Zwei Minuten später war er wirklich direkt hinter uns. Wir fanden das in dem Moment schon sehr creepy.

Studentin Se. schildert ihren ersten Schockmoment:

Ich war im Auslandsaufenthalt. Anfang April habe ich zum ersten Mal von der Situation mitbekommen, dass dort Prostitution stattfindet. Ich hatte zwei Freundinnen zu Besuch, und wir unterhielten uns auf der Treppe im Flur. Eine Frau (vermutlich eine Prostituierte) kam herunter, rauchte im Flur und ging dann mit einem Mann nach oben. Später kam der Mann wieder herunter. Eine Freundin sprach ihn an – es war nach Mitternacht, und sie wollte sich nichts mehr im Kiosk kaufen, deshalb fragte sie ihn, ob er noch eine Zigarette habe.Er antwortete: „Arbeitet ihr mit der da oben zusammen?“ Wir sagten: „Nein, nein“, weil wir noch gar nicht wussten, worum es ging. Dann kam das Mädchen (die Prostituierte) wieder herunter und holte jemanden Neuen ab. Dieser sagte dann zu einer Freundin: „Boah, du siehst so interessant aus. Du hast voll die schönen Haare – ist das rot oder orange?“, und machte sie flirty an. Daraufhin ermahnte ihn die Prostituierte, und sie gingen gemeinsam die Treppe weiter nach oben.

Studentin Sv. ergänzt:

Es kann übrigens sein, dass der Zuhälter teilweise im Hotel übernachtet. Ich habe manchmal gesehen, wie er bei mir im 4. Stock im Treppenhaus immer wieder hoch ins Hotel geht und wieder zurück zur 4.25, wo ja auch eine Prostituierte drin ist.

Die Unsicherheit wächst und damit ebenfalls die Angst. Der Alltag ist vergiftet. Was die Bewohner eint: Frustration und Wut. Denn trotz mehrfacher Hinweise an Polizei, Verwaltung, Ordnungsamt: An der Situation vor Ort ändert sich nichts.

April 2025: Alltag im Ausnahmezustand

Der studentische Mieter L. fragt immer wieder bei der Verwaltung nach. Er schreibt ein drittes Lärmprotokoll, dass er kontinuierlich aktualisiert und an die Verwaltung schickt. Laut Aussage der Verwaltung benötigen sie diese, um eine dritte Abmahnung und danach die Kündigung an den Mieter zu schicken. Post an diesen bleibt jedoch ungeöffnet im Briefkasten liegen. Trotz der ersten beiden Abmahnungen zeigte Ma. Z. keinerlei Bemühungen, seine Aktivitäten zu verbergen. Kurz vor der dritten und letzten Abmahnung versuchte er sogar, sein Zimmer mit einem Nachbarn zu tauschen – ohne Einbindung der Verwaltung (Placed). Dazu schickte er einen Bekannten vorbei – einen Mitarbeiter aus dem „Lost Monk“ –, der ebenfalls regelmäßig das Zimmer nach dem Wechsel der Prostituierten reinigte.

Der Lärmpegel ist konstant hoch. Student L. flüchtet aus der eigenen Wohnung, da der konstante Lärm nicht aushaltbar ist und keine Veränderung in Sicht scheint.

Mai 2025 – Die Medien werden informiert

Der Gang an die Öffentlichkeit
Trotz mutmaßlicher Kündigung Ende April durch die Verwaltung mit einer zweiwöchigen Räumungsfrist ist die Situation in der Wohnung weiterhin unverändert. Die Studierenden wenden sich am 20. Mai schließlich an die Presse. Die Hoffnung ist, dass dadurch etwas in Gang gesetzt wird, was an der Situation etwas ändern könnte. Sie schicken Links zu Anzeigen, Bildmaterial, Erfahrungsberichte und zeigen Fotos des möblierten Zimmers auf placed.digital. Kurz darauf berichten u.a. SAT.1 NRW, EXPRESS, Kölner Stadt-Anzeiger.

Screenshot Quelle: Kölner Stadtanzeiger

Nach Erscheinen des Kölner Stadt-Anzeigers-Artikels hagelt es frustrierte Kritik durch die Studierenden:

Gut, dass im Titel „Hausverwaltung reagiert“ steht und die Polizei – obwohl sie hier war und Hinweise hat – keine Straftaten feststellen konnte. 🫠 Ich finde das irgendwie zu positiv formuliert, und es wird auch nicht weiter auf das Leid der Frauen eingegangen – oder darauf, dass die Hausverwaltung auf viele Beschwerden nicht einmal geantwortet hat.

Die Hausverwaltung reagiert sehr spät – wenn überhaupt – trotz mehrfacher Beschwerden und Protokolle. Was ist das für ein Titel?

Auf Instagram und Facebook sammeln sich hingegen zynische Kommentare:

Quelle: Instagram, Facebook

Zieht tatsächlich jemand aus?

Am Abend entsteht der Eindruck, dass eine der Prostituierten auszieht und sich etwas in Bewegung setzt. Eine Studentin folgt der Frau unauffällig und beobachtet, wie sie gemeinsam mit einem mutmaßlichen Zuhälter gegen 23:49 Uhr versucht, in ein nahegelegenes Hostel einzuchecken. Beide sprechen kein Deutsch. Die Polizei wird informiert und führt eine Personenkontrolle durch, erstattet jedoch keine Strafanzeige. Später am Abend kehrt dieselbe Frau ins Wohnheim zurück.

RTL dreht am 21. Mai vor Ort – sendet jedoch nichts. Begründung:
„Guten Morgen xxx, RTL hat sich am Tag nach unserem Dreh gegen eine Ausstrahlung entschieden – unter anderem, weil die beiden Zimmer mittlerweile leer sind, vermutlich auch aufgrund der Berichterstattung der Kollegen von den Zeitungen und SAT.1. Außerdem können wir so auch Li. xxx. schützen, mit der wir offen ein Interview gedreht haben.  Wir hoffen, dass nun Ruhe in Ehrenfeld einkehrt. Viele Grüße“

Am selben Abend wird „Trixi“ erneut mit einem Freier im Gebäude gesehen. 

Express veröffentlicht einen weiteren Artikel, auf den Sv. reagiert:

Die Polizei sagt, es gibt keine Anzeige, aber letztens hat eine Studentin doch sogar online eine am 4. Mai eingereicht.

Ich selbst habe am 14. die Polizei angerufen.

Ich hatte sie am 5. Februar gerufen und ihnen die Audioaufnahme gezeigt.

Fachstellen werden angeschrieben

Am 21. Mai schrieben die Studierenden zahlreiche Institutionen und Fachstellen an und informierten über die dokumentierten Hinweise – darunter ECPAT, das Bundeskriminalamt (BKA), Agisra, der Dachverband KOK, Polizei, Zoll sowie Solwodi. Eine Rückmeldung erhielten die Studierenden jedoch nur von ECPAT und Agisra: ECPAT bestätigt, dass sie die Informationen weitergegeben hätten – unter anderem an das BKA –, Agisra bot an, im Falle eines direkten Kontakts mit Betroffenen umfassende Beratung und Unterstützung bereitzustellen. Die anderen Stellen meldeten sich nicht zurück. 

Ein Sicherheitsdienst soll die Situation regeln

Nach der Medienberichterstattung wird die Hausverwaltung tatsächlich das erste Mal aktiv. Sie schaltet nun einen Sicherheitsdienst ein. Per Mail informiert sie die Bewohner am 22.05. Der Sicherheitsdienst soll das Haus 24/7 überwachsen. 

Dennoch kommen weiterhin Freier ins Haus.  

Am 24. und 25. Mai 2025 berichten Medien von einer Razzia, doch in der WhatsApp-Gruppe mit etwa 121 Studierenden hat niemand etwas davon mitbekommen. Die Security bleibt weiterhin im Haus und führt Kontrollen durch. A. hört auffällige Geräusche aus dem Stockwerk über sich.

Höre ich über mir auch ständig, seit ich hier wohne. Ich frage mich immer, warum die so oft die Möbel verrücken und so viel rumstampfen.

Sv. fügt hinzu:

Dieser Chef bei Lost Monk hat versucht, diese Geräusche runterzuspielen und meinte irgendwie, dass es einfach fucking Mäuse wären. 😭😭

Juni – Und das Geschäft läuft weiter

Der Sicherheitsdienst berichtet, dass im Gebäude nicht nur Prostitution stattfindet, sondern auch mit harten Drogen gehandelt wird. Er erkenne regelmäßig Personen wieder, die er aus seiner langjährigen Tätigkeit in Köln – insbesondere aus Kalk und Mülheim – kenne und die er mit derartigen Delikten in Verbindung bringt. Ohne konkrete Beweise seien ihm jedoch die Hände gebunden; er könne sie nur des Hauses verweisen, wenn er sie direkt antrifft. Diese Personen gelangen häufig über das angeschlossene Hotel oder offenstehende Türen ins Gebäude.

Leute, 305 ist wieder belegt. Obwohl der Schlüssel angeblich gesperrt wurde.

Warum dieser Fall exemplarisch für gesellschaftliches Wegschauen steht

Dieser Fall zeigt auf eindrückliche Weise, wie vielschichtig das Problem von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung in Deutschland ist – und wie wenig es von Gesellschaft, Behörden und Rechtssystem bislang angegangen wird: 

  • Eine Hausverwaltung, die spät und halbherzig reagiert. 
  • Behörden, die auf Anzeigen warten – während täglich Menschen ausgebeutet werden. 
  • Eine Gesellschaft, die lieber zynisch kommentiert, als Verantwortung zu übernehmen. 
  • Und ein Rechtssystem, das Prostitution erlaubt, aber ausbeutenden Strukturen hilflos gegenübersteht


Das deutsche Rechtssystem:
 
Das Rechtssystem ist hier zwiegespalten: Prostitution ist in Deutschland grundsätzlich legal (§ 1 ProstSchG – Prostituiertenschutzgesetz), und Sexarbeit wird als Beruf anerkannt. Gleichzeitig gibt es aber auch strenge Gesetze gegen Menschenhandel (§ 232 StGB), Zwangsprostitution (§ 232a StGB) und Zuhälterei (§ 181a StGB). Die Praxis zeigt jedoch, dass es schwer ist, diese Straftaten nachzuweisen, da sie unter dem Deckmantel legaler Prostitution geschehen. Die Strafverfolgung ist also auf belastbare Beweise und Aussagen der Opfer angewiesen, die sich jedoch oft nicht trauen etwas zu sagen.

Rechtliche Grundlagen im Überblick: 

  • Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), §§ 1 ff. 
    Regelt die Ausübung von Prostitution in Deutschland, führt Registrierungspflichten ein und soll die gesundheitliche und soziale Situation der Sexarbeiterinnen verbessern. 
  • Strafgesetzbuch (StGB), § 232 – Menschenhandel 
    Bestraft das Handeln mit Menschen zur Ausbeutung, etwa zur Prostitution, mit Freiheitsstrafe. 
  • StGB, § 232a – Zwangsprostitution 
    Bestraft das Erzwingen von Prostitution unter Androhung von Gewalt oder anderen Mitteln. 
  • StGB, § 181a – Zuhälterei 
    Strafbar ist die Förderung der Prostitution Anderer zum Zweck der Bereicherung.


Angewandt auf den Fall in Köln bedeutet das:

Solange die Frauen der Polizei gegenüber behaupten, dass sie freiwillig dort arbeiten würden, kann die Polizei nicht viel machen. Trotz Verdacht auf organisierte Strukturen müsste die Polizei einen enormen Arbeitseinsatz erbringen, um unabhängig von den Aussagen der Frauen nachweisen zu können, dass Ausbeutung besteht. Ein Einsatz, der mit den realen Mitarbeiter-Ressourcen im Alltag häufig nicht möglich ist.

Folgende Hinweise deuten darauf hin, dass es sich nicht um freiwillige Prostitution handelt: 

  • Die Frauen sind noch sehr jung und sprechen die deutsche Sprache nicht. Sie sind keine selbstständigen Mieterinnen.  
  • Sie werden sichtbar durch den Mann organisiert, der täglich vor dem Haus sitzt. Er kümmert sich um die Miete. Er begleitet sie außerhalb des Hauses. Er ist auch die Ansprechperson für die Freier, Aussagen in den Freierforen bestätigen dies. 
  • Schreie, Weinen, Frauen werden geschlagen. 
  • Mind. ein Mann organisiert mehrere Frauen, die in den Zimmern wechselnd angeboten werden


Was hätte die Behörde machen müssen?
 
Mindestens eine Kontrolle nach dem  ProstituiertenSchutzGesetz: Haben die entsprechenden Personen eine Erlaubnis? Haben Sie eine Beratung erhalten? Sind sie irgendwo mit einem Wohnsitz gemeldet? Haben Sie eine Krankenversicherung? Hier gab es keine Kontrollen oder Beratungsgespräche diesbezüglich. 

Jeder Ort der Ausübung von sexuellen Dienstleistungen bedarf einer Erlaubnis. Hier hätte ebenfalls eine Kontrolle stattfinden müssen. Allerdings befindet sich das Wohnheim in einem Viertel, das als Sperrbezirk gilt. Zusätzlich zu dem Gewerbe-Verbot im Wohnheim ist Prostitution in dem Viertel untersagt. Ein doppeltes Verbot, eine Erlaubnis der Prostitutionsstätte ist daher hinfällig. Aufgrund dieser Verbote hätte die Behörde anders handeln müssen. 

Das nordische Modell als Alternative? 
In Ländern wie Schweden oder Norwegen gilt das sogenannte „nordische Modell“: Dort werden nicht die Prostituierten kriminalisiert, sondern die Freier (§ 4a Prostitution Act in Schweden). Ziel ist es, die Nachfrage zu verringern und den Frauen Schutz zu bieten. Zudem soll es dazu dienen, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung leichter und effektiver zu verfolgen. Kritiker und Befürworter diskutieren viel über die Effektivität, aber klar ist: Ein solcher Ansatz könnte das Problem der anonymen Freier in Wohnheimen wie in diesem Fall eindämmen. Die Polizei hätte in diesem Fall leichtere Möglichkeiten, Freier und Zuhälter zu bestrafen und somit Ausbeutung zu verhindern.   

Was wäre, wenn Deutschland das nordische Modell hätte – bei dem Freier, nicht Frauen, kriminalisiert werden? Vielleicht würden dann weniger ältere Männer anonym in Wohnheime spazieren, auf der Suche nach Sex mit jungen osteuropäischen Frauen, deren „Arbeitgeber“ im selben Haus wohnt. 

Klar ist: Egal welche Gesetze wir in Deutschland haben – wir müssen diese auch anwenden. In diesem Fall wurden nicht einmal bestehende Gesetze angewendet. Warum ist das so? 

Haben wir keine Ressourcen? 

Ist es uns egal? 

Was wäre gewesen, wenn die Lärmbelastung durch die mutmaßliche Ausbeutung nicht so hoch gewesen wäre? Hätte dann jemand gehandelt? 

Wir müssen als Gesellschaft hinsehen! Eine Gruppe junger Menschen hat den Mut gehabt, nicht wegzusehen. Sie dokumentieren, konfrontieren, widersprechen – und fordern eine Gesellschaft, die schützt statt wegsieht. 

Es darf uns nicht egal sein, dass eine wirtschaftliche Not viele junge Frauen aus Osteuropa dazu bringt, sich unter unwürdigsten Umständen prostituieren zu müssen. Und es darf uns auch nicht egal sein, dass es eine große Nachfrage in unserem Land gibt, diese Not für die eigene sexuelle Befriedigung auszunutzen. 

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